Die Beurteilung mit all ihren Funktionen

Wie in Abbildung 1 dargestellt, müssen die verschiedenen Unterrichtsphasen mit Aufgaben und Beurteilungssituationen gleichzeitig angedacht werden. Es wäre nicht zu vertreten, etwas zu beurteilen, was nicht im Unterricht vermittelt wurde, denn dies würde u. a. bedeuten, das ausserschulische Lernen einiger SuS mitzubeurteilen. Um eine angemessene Durchführbarkeit zu gewähren und zu leisten, ist es nicht möglich, alles zu beurteilen, was während des Projekts gelehrt wurde.

Wenn von Beurteilung die Rede ist, lassen sich mehrere Tendenzen erkennen. Die Erste besteht darin, Beurteilung und Benotung gleichzusetzen und dabei die anderen Funktionen der Beurteilung (insbesondere die diagnostischen und formativen Funktionen) auszublenden. Zweitens werden summative und zertifizierende Beurteilungen miteinander verwechselt. Die summative Beurteilung besteht jedoch darin, die zu einem bestimmten Zeitpunkt des Lehr-Lernprozesses erworbenen Kenntnisse/Kompetenzen zu überprüfen, während sich die zertifizierende Beurteilung mit der Beurteilung eines Produkts mit selektivem Charakter befasst (Grandchamp et al., 2021).

In der von uns vorgeschlagenen Strukturierung einer didaktischen Sequenz (Abbildung 1), übernimmt die Beurteilung verschiedene Funktionen. Eine Sequenz wird rhythmisiert durch (a) eine anfängliche Beurteilungssituation mit diagnostischem Fokus, (b) eine Zwischenbeurteilungssituation mit formativem Fokus und (c) eine abschliessende Beurteilungssituation mit summativem Fokus bzw. mit zertifizierender Funktion, in den Kantonen, in denen die Beurteilung zu einer Zeugnisnote führt. Ein und dieselbe Situation, die als Referenzsituation bezeichnet wird (Boda & Récopé, 1991; Seners, 2002), kann verwendet werden, um diese drei Beurteilungsfunktionen zu erfüllen. Dies ermöglicht es einerseits der Lehrperson, Vergleiche zwischen aufeinanderfolgenden Ausprägungen der erworbenen Kompetenz der SuS zu ziehen und gegebenenfalls ihren Unterricht anzupassen. Andererseits erlaubt es den SuS, sich der zu erreichenden Kompetenz(en) und der dafür aufzubauenden und/oder zu mobilisierenden Ressourcen bewusst zu werden. Es ist aber auch möglich, verschiedene Beurteilungs- oder Anwendungssituationen vorzuschlagen, um diese drei Funktionen zu erfüllen, wobei der Grad der Komplexität im Laufe der Sequenz zunimmt. Wenn sich beispielsweise die summative (oder zertifizierende) Beurteilung einer Tanzsequenz auf eine von den SuS aufgebaute gemeinsame Choreografie bezieht, wird es nicht möglich sein, die gleiche Beurteilungssituation zu Beginn der Sequenz vorzuschlagen, wenn die Choreografie noch gar nicht erarbeitet worden ist.

Die in dieser Broschüre vorgeschlagenen an die Schule angepasste Praxisformen werden in der Regel von Beobachtungsrastern/Indikatoren begleitet, auf die sich die Beurteilung abstützen kann - dies unter Berücksichtigung der sozialen Rollen der Lehrperson als Beobachterin oder Beobachter, Schiedsrichterin oder Schiedsrichter, Trainerin oder Trainer, usw. - um die SuS diagnostisch, formativ und/oder summativ zu beurteilen. Wir weisen darauf hin, dass diese Raster/Indikatoren allzu oft nur von der Lehrperson verwendet werden, um die SuS zu beurteilen. Wir empfehlen dringend, dass auch die SuS die Beobachtungsraster/Indikatoren nutzen, dies insbesondere im Rahmen von reflexiven Austauschgesprächen, bei denen die SuS zur Lösung der Problemsituation beitragen (siehe Abschnitt 4). Dies kann auch zur Förderung der überfachlichen Kompetenzen beitragen, die im nächsten Abschnitt erläutert werden.